RSV SulzfeldNachlese

Mein erster Radmarathon

„Radmarathon ist eine organisierte Radtouristikfahrt (RTF) mit einer Gesamtlänge von mindestens 200 km.“

1 Jahr vorher:
Mit den Sportsfreunden vom RSV Sulzfeld bin ich auf Etappenfahrt. 550 km in vier Tagen, von Goslar nach Hause, das Gepäck immer mit dabei. Wir reden auch von Radmarathon, ich werde infiziert. Der RSV Rot organisiert den einzigen Radmarathon in unserer unmittelbaren Umgebung. Das macht die Sache kalkulierbar.
6 Monate vorher:
Es ist Winter, kalt und schneereich. Das Rennrad habe ich dieses Jahr nicht eingewintert. Schließlich gewinnt man die Tour de France im Dezember. Sollte auch für das Durchstehen eines Radmarathons gelten.
3 Monate vorher:
Jetzt wird es allmählich ernst. Und gerade jetzt setzt mich eine akute Bronchitis 4 Wochen außer Gefecht.
6 Wochen vorher:
Allmählich läuft es besser. Die nächsten Wochen werden Anzahl der Fahrten und Kilometer erhöht. Sonntags mit dem RSV Grundlagentraining bei RTF-Fahrten, unter der Woche kürzer, aber heftiger. Allerdings sollte ich noch so 3 bis 4 kg abspecken.
1 Woche vorher:
Das Vorbereitungstraining ist abgeschlossen. Eine Woche wird kein Rad bewegt. Experten nennen das Tapering, ich weis dass ich das brauche. 2300 km habe ich seit Neujahr auf Rennrad, Rolle und MTB geackert. Mit konsequentem Fasten (FDH) werden die Kohlehydratspeicher geleert und noch 2 kg abgenommen.
2 Tage vorher:
Endlich! Ende der Fastenzeit. Pasta, Körnerbrot, Bananen, Müsli, Bier mit und ohne Alkohol. Die Kraft kommt zurück.
Vortag:
Ein ruhiger Samstag. Nachdem meine ganze Familie Pastaparty gemacht hat geht es zum Fotoshooting 100 Jahre RSV Sulzfeld. Und danach zu Wolfgang, da gibt es zum Fünfzigsten BMW (Bier mit Wurstsalat). Der Einzug der Deutschen ins Viertelfinale lässt mich gut schlafen.
Sonntag 25.Juni 2006.
Es ist soweit!
5:15 Uhr:
Der Wecker reist mich aus dem Tiefschlaf. Raus, Katzenwäsche, Bananen-Erdbeermüssli verspeisen, 2 Tassen Kaffee und noch schnell auf die Waage: 83,6 Kilo, eigentlich so 2 bis 3 Kilo zu viel. Mal sehen was ich nachher habe…
6:15 Uhr:
Wir steigen in Kürnbach in die Strecke ein. Die anderen 4 Sportsfreunde sind wie immer superpünktlich. Gleich fahren wir rein in den Berg, hoch nach Sternenfels und dann noch weiter hoch bis es runtergeht nach Häffnerhaslach. Puls 130 guter Druck, Form stimmt.
20 km:
Wir fahren durchs Kirbachtal nach Osten: Kühl verwöhnt uns die frische Morgenluft, am Waldrand äst ein Reh. Aber die junge Sonne am Horizont wirft schon unsere Schatten bedrohlich fahl auf den Asphalt…
40 km:
In bester Verfassung und Laune sind wir im Neckartal angekommen und gehen in Besigheim über den Fluss. Stromberg und Heuchelberg verschwinden blass am Horizont. In ein paar Stunden sehen wir uns wieder! Dann geht es auf wunderschöner Strecke an Weinbergen entlang flussaufwärts. Irgendwann geht es raus aus dem Tal, die Weinberge hoch. Die winzigen Trollingertrauben hoffen auf einen guten Jahrgang. Alles läuft rund, das Leben ist schön.
60 km:
Die Löwensteiner Berge sind da. Und zwei der Sportfreunde sind weg. Sie sind einfach zu stark für mich, ich will sie keinesfalls aufhalten. Die anderen beiden bleiben bei mir. Die Pulsuhr gibt den Rhythmus vor, 145 Schläge sind o.k.allerdings bin ich der langsamste unseres Dreierteams. Das wird auch so bleiben! Zwei lange, lange Steigungen, dann kommt kurz vor Wüstenrot die berühmte Pfannkuchenkontrollstelle exklusiv für Rot-Radmarathonis. Überaus freundlich werden wir mit Pfannkuchen, Müsliriegel, Bananen und diversen Getränken versorgt. Ich bin der Achte, der heute da ist. Radfahren macht Spaß!
80 km:
Es geht mehr runter wie rauf. Die berauschenden Abfahrten fordern vor allem in den winkligen, verschlafenen schwäbischen Nestern volle Konzentration. Über Löwenstein verlassen wir die Berge. Die Hügel und Wellen bleiben uns erhalten. Drüben überm Neckartal grüssen wieder Stromberg und Heuchelberg. Warum sind diese heute so hoch?
100 km:
Lauffen. Das Pflaster der historischen Altstadt rüttelt uns durch. Drunten geht es wieder über den Schwabenfluss und dann endlich zu Kontroll- und Verpflegungsstelle. Da hier auch die kürzeren RTF-Routen vorbeikommen, treffen wir auf ein buntes Völkchen Gleichgesinnter.
120 km:
Brackenheim – Stockheim. Puls 150. Kleingartach – Odilienberg. Puls 160. Die Sonne hat die Wolken vertrieben und brennt erbarmungslos vom Himmel. Die Weinberge in Südlage werfen die Wärme mit Macht auf die Strasse zurück. Die Poren öffnen sich. Da muss man jetzt durch. Ich überhole andere, die leiden noch mehr.
140 km:
So weit bin ich dieses Jahr noch nicht gefahren. In Eppingen war Kontrollpunkt. Trinken, Quatschen, Müsliriegel bunkern. Dann geht es über Elsenz ins Angelbachtal. Ausnahmsweise mag ich die Strecke, kann mich im Windschatten erholen.
160 km:
Spargelschilder künden die nahe Rheinebene. Die Luft steht über den Feldern, das Thermometer zeigt 31 Grad. Der Tacho zeigt 31 km/h. Endlich kommt St.Leon-Rot mit „Start und Ziel“. Stolz lasse ich mir erstmals 5 Punkte in die Wertungskarte eintragen. Als wir weiterfahren kommen wir mittenrein in den Krämermarkt von Malsch. 1,5 km schieben im Gedränge. Es ist zwar heiß, aber das war ein Kalter…
180 km:
Von Östringen hoch auf den Schindelberg. Puls 170, ich bin am Anschlag, verbrenne die letzten Körner. Raus aus dem Sattel, runterschalten auf den Rettungsring (32/25) und die anderen ziehen lassen. Wenn ich verloren gehe, findet man mich immer über meine Schweisspur. Das Leben ist hart.
190 km:
Von Odenheim geht dieser furchtbare Buckel rüber nach Menzingen. Über mir kreisen 2 Krähen. Oder sind es etwa Geier? Als letzte Herausforderung ruft jetzt diese doofe Steigung von Bahnbrücken hoch zum Luisenhof. Der Volksmund nennt den Buckel "Eselsschinder". Stimmt!
202 km:
Endlich zu Hause. Fahrrad auf den Boden legen und darüber hinwegsteigen. Warum hat der Architekt in unserem Haus eigentlich keinen Fahrstuhl eingebaut?
1 Stunde später:
Zeit für die Statistik: 202 km gefahren, ca. 2300 Höhenmeter gedrückt. Nettofahrzeit gute 8 Stunden, Schnitt 25,4 km/h. 5 Liter Wasser, Saft, Tee und Isogesöff getrunken und gleich wieder rausgeschwitzt, 3 Bananen, 3 Müsliriegel und eine leckeren Pfannenkuchen verspeist, trotzdem über 3 kg abgenommen (ehrlich!).
2 Stunden später:
Mein Gott geht mirs gut! Eigentlich könnte ich etwas über meinen ersten Radmarathon schreiben….
Konrad Gehringer